Verbrannte Bücher - verfemte Dichter

In vielen deutschen Universitätsstädten loderten am 10. Mai 1933 Scheiterhaufen. Damals vernichtete die Deutsche Studentenschaft unter dem Motto „Deutsche Studenten marschieren wider den undeutschen Geist" Schriften von sozialistischen und marxistischen, pazifistischen, jüdischen und als „dekadent" gebrandmarkten Autoren. In straff organisierten und ritualisierten Feiern wurde die Literatur der namhaftesten deutschen Schriftsteller „den Flammen übergeben" – beispielsweise Werke von Berthold Brecht, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Kästner, Heinrich Mann, Carl von Ossietzky, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Arnold und Stefan Zweig, um nur einige der Autoren zu nennen. Aus unserer Region waren betroffen die Mainzer Schriftstellerin Anna Seghers (deren Vorfahren aus Bensheim stammen) und der Darmstädter Schriftsteller Kasimir Edschmidt. In einigen Städten wurde die Bücherverbrennung vor oder nach dem 10. Mai 1933 inszeniert: In Heidelberg geschah dies zum Beispiel erst am 17. Mai auf dem Universitätsplatz, in Mannheim am 19. Mai 1933 auf dem Messplatz und in Darmstadt sogar erst am 21. Juni 1933 auf dem Mercksplatz. Nach den Bücherverbrennungen erschien im Börsenblatt des deutschen Buchhandels eine Auflistung mit insgesamt 131 Autoren, deren Werke aus den Bibliotheken und Buchhandlungen entfernt werden mussten. Diese Liste wurde regelmäßig aktualisiert. Mit diesen Aktionen der Nazis gegen die bedeutendsten deutschen Schriftsteller bekam das Wort Heinrich Heines: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende gar auch Menschen", einen prophetischen Beiklang.

Zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933 lädt der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ in Kooperation mit der Zwingenberger Bücherei zu einer literarischen Gedenkveranstaltung am Mittwoch, 16. März 2005, 20 Uhr – Veranstaltungsort ist die städtische Bücherei in Zwingenberg. Mit dem Aschaffenburger Arnim Reinert haben die Veranstalter einen Rezitator gewonnen, der seit vielen Jahren in vielen Städten der Bundesrepublik mit seinen Vorträgen dazu beiträgt, dass jene Autoren nicht in Vergessenheit geraten, deren Werke die Nationalsozialisten verbrannt und verbannt hatten. Bei der Veranstaltung in Zwingenberg wird Arnim Reinert den österreichischen Dichter und Journalisten Joseph Roth (1894 – 1939) portraitieren und aus seinen Werken lesen. Roths Kritik am Militarismus und seine radikaldemokratische Einstellung, verbunden mit einer genauen und liebevollen Zeichnung seiner Charaktere, ließen Werke der Weltliteratur entstehen, allen voran seine beiden wohl bekanntesten Romane „Radetzkymarsch“ und „Hiob“. Schon 1932 erkannte Roth mit großer Hellsichtigkeit, dass es „Zeit ist, wegzugehen“. Nachdem seine Literatur im Feuer landete, von den Nazis als katholisch getaufter Jude, als kritisch sarkastischer Journalist verhasst und für „staatenlos“ erklärt, musste er schließlich nach Frankreich fliehen. „Ich sehe, dass wir den Wahnsinn in Deutschland nicht übertönen können“ schrieb er an einen Freund. Immer stärker verfällt Roth dem Alkohol, an dem er schließlich im Mai 1939 starb.

„Mir geht es darum, dass die Zuhörer die Bücher der „Verbrannten Dichter“ selbst in die Hand nehmen und zu Ende lesen“, so Arnim Reinerts Anliegen. Üblicherweise beschließt der Rezitator deshalb seine Lesungen mit dem Ausruf „Ja, nun lest mal schön!“

i Lesung aus den Werken von Joseph Roth mit dem Rezitator Arnim Roth
Mittwoch, 16. März 2005, 20 Uhr
Stadtbücherei Zwingenberg
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. und Stadtbücherei Zwingenberg

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 19. März 2005

Literatur "wie Blümchen unter die Menschen streuen"
Arnim Reinert erinnert bei "Spätlese"-Veranstaltung von Stadtbücherei und AK Synagoge an in der NS-Zeit verfemte DichterZwingenberg

Über dem Tisch, an dem Arnim Reinert am Mittwochabend in der Städtischen Bücherei saß und aus den Büchern von im so genannten "Dritten Reich" verfemten Dichter vorlas und Biographien verfolgter Autoren vorstellte, baumelte ganz unverfänglich das Wegweiserschild "Schöne Bücher", das dort übrigens immer hängt. Und es traf genau den Kern der literarischen Gedenkveranstaltung anlässlich der Bücherverbrennung 1933:
Es waren schöne, lesenswerte Bücher, die in vielen Universitätsstädten, so auch in Heidelberg, Mannheim, Darmstadt und Worms, im Frühsommer 1933 auf zahlreichen Scheiterhaufen landeten. Aber nicht nur das. Es waren interessante, lebensbejahende, wertvolle, humoristische, bitterböse und anrührende Geschichten und Erzählungen, Lyrik wie Prosa, von Emigranten aus Österreich und Deutschland geschrieben, die hierzulande wegen ihrer Herkunft oder Gesinnung um ihr Leben fürchteten.
Seit 1986 reist der bald 80-jährige Reinert landauf, landab, um die "verbrannten Dichter" aus der Dunkelheit des Vergessenwerdens heraus zu schubsen und sie wieder ins Gedächtnis zurück zu rufen. Zu dem einen Zweck: Nie wieder Unterdrückung und Terror, nie wieder Ausgrenzung, Völkermord und Konzentrationslager.
Und sie sind es wert, nicht in der Versenkung zu verschwinden, sondern in die Hände von möglichst vielen Lesern zu gelangen. Die Werke der sozialistischen wie marxistischen, als "dekadent" gebrandmarkten Journalisten und Kritiker, ebenso wie die der pazifistischen und jüdischen Zeitzeugen. Was die creme de la creme der Schriftsteller von Carl Zuckmayer, Oscar Maria Graf, Walter Mehring, Stefan Zweig, Hermann Kesten, Ludwig Marcuse, Jürgen Roth, Jürgen Serke oder Irmgard Keun, nieder geschrieben hat, will der gebürtige Berliner Rezitator nach seinen eigenen Worten "wie Blümchen unter die Menschen streuen".
Lesen sollen Männer und Frauen, und insbesondere junge Leute, die dünnen Bändchen und dicken Wälzer derjenigen, die vor knapp 70 Jahren mit erleben mussten, wie man versucht hat, ihre Gedanken und ihre Kreativität auf dem Scheiterhaufen für immer aus den Köpfen und Herzen zu radieren.
In Zwingenberg hielt Arnim Reinert seine 492. Lesung, und dass so viele interessierte Literatur- und Geschichtsfreunde zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe "Spätlese" in die Bücherei gekommen waren, überraschte und freute den "überzeugten Anwalt der im NS-Staat diskriminierten, verfemten und verfolgten Autoren". Dr. Fritz Kilthau, Vorsitzender des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge und gleichzeitig Mitveranstalter, erinnerte in seinen Begrüßungsworten an Anna Seghers aus Mainz, Kasimir Edschmidt aus Darmstadt, Elisabeth Langgässer aus Alzey und Carl Zuckmayer aus dem Rheinhessischen. Auch diese Schriftsteller durften damals ihre Werke nicht publizieren und wurden geächtet.
Im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels waren 1933 die Namen von 131 Autoren aufgelistet, die als "schädlich und unerwünscht" diskriminiert wurden. Der Gastredner nannte die nackten Zahlen. Nach dem Reichstagsbrand flohen neben tausenden von anderen, 2000 Journalisten und Dichter, 6250 Wissenschaftler - davon 24 Nobelpreisträger -, 160 Verleger, 3000 Künstler, Schauspieler, Musiker, und, und, und. Mehr als 39 000 Menschen wurden ausgebürgert und waren damit staatenlos.
Einer, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hat, der den Militarismus abgekanzelt, die Menschen genau beobachtet und mit liebevoller Ironie beschrieben und charakterisiert hat, war der österreichische Journalist, Dichter und Romancier Joseph Roth. Seine bekanntesten Werke sind die Romane "Radetzkymarsch" und "Hiob". Bitterböser Sarkasmus war ebenso seine Sache wie Selbstironie und Selbstzerstörung. Er hat seine Mitmenschen, die Umgebung, in der sie lebten mit der "Bitterkeit des enttäuschten Moralisten", bis ins kleinste Detail beobachtet und liebevoll, nachsichtig beschrieben.
Joseph Roth war immer auf der Flucht. Vor irgend jemand, vor zahllosen Frauen, von einer Stadt zu anderen, vor den Nazis, die seine Bücher verbrannten. Geboren wurde er als Sohn einer jüdischen Mutter in Schwabendorf, im damals österreichischen Galizien. Der Vater verschwand schon bald auf Nimmerwiedersehen. Die Mutter war unglücklich, ohne Geld und ohne Mann, der Sohn Joseph "eifrig, ehrgeizig und voll Boshaftigkeit". Er war ein unsteter Geist, ging nach Wien und Berlin, später dann nach Paris, Polen und Italien, Amsterdam und Ostende. Aus Geldnot fing er an, für Zeitungen zu schreiben, für den Neuen Tag in Wien, den Vorwärts, das Feuilleton der Frankfurter Zeitung und der Prager Zeitung. Von sich selbst sagte er, er sei ein Skeptiker und ein Pessimist, radikal und ungerecht, ein utopischer Sozialist.
Mit Irmgard Keun, deren Roman "Nacht Mitternacht" der Rezitator und Vorleser seinen Zuhörern wärmstens als "beste psychologische Geschichte einer kleinen Familie im Dritten Reich" empfahl, hat Roth zusammen getrunken. Seinen Wiener Schmäh hat er dabei trotzdem nie verloren. Schließlich hat er sich 1939 im Alter von nur 44 Jahren im Pariser Exil zu Tode gesoffen.
Am Ende der Gedenkveranstaltung anlässlich der Bücherverbrennungen, bedankte sich Bürgermeister Dieter Kullak bei den Veranstaltern, der Städtischen Bücherei und dem Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge für einen Abend, der zum Nachdenken anregte und die im Laufe der Jahre etwas in den Hintergrund gedrängten, "verbrannten Dichter" wieder ins Rampenlicht rückte. "Ja, nun lest mal schön!" Nach dem Schlusswort Arnim Reinerts gab es Fragen aus dem Publikum. gs
© Bergsträßer Anzeiger - 19.03.2005

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