Roma in Frankfurt

„Roma in Frankfurt“
Filmabend des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. über das Leben der Roma von heute in der hessischen Metropole

Eine Filmvorführung der Margit-Horváth-Stiftung, Mörfelden und anschließendes Gespräch mit einer jungen Roma, die in diesem Film porträtiert ist, präsentiert der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V. in seiner ersten Abendveranstaltung nach der Sommerpause. Cornelia Rühlig, die Vorsitzende der Stiftung und eine der drei Filmproduzenten, wird gleichfalls anwesend sein. Der Filmabend findet am Dienstag, 15. September, um 20:00 Uhr, im Saal des Alten Amtsgerichts im Zwingenberger Obertor statt.
Der Eintritt ist frei, Spenden für die Margit-Horvath-Stiftung sind willkommen.

In diesem Film beschreiben Roma, die in Frankfurt leben, ganz unterschiedliche Aspekte des eigenen Alltagslebens: z. B. ihr Aufwachsen als Kinder von KZ-Überlebenden, die in der Nachkriegszeit erneut an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und keine Wohnung bekamen. Obdachlose erklären, warum sie aus Rumänien nach Frankfurt kommen und wie sie nun durch Betteln oder Billigstlohnarbeit versuchen, ihre Familie zu ernähren. Jugendliche, die zeitweise in osteuropäischen Ländern und zeitweise in Frankfurt aufwuchsen, erzählen von den Besonderheiten ihrer Bildungsgeschichte.

Der 45-minütige Film von Otto Schweitzer, Ulrike Holler und Cornelia Rühlig hatte im Mai 2014 Premiere im Frankfurter Mal Seh‘n-Kino: Doch damit war ihr Engagement für die Roma in Frankfurt nicht beendet. Seitdem begleitet die Margit-Horváth-Stiftung, insbesondere ihre Vorsitzende Cornelia Rühlig, einige der Hauptpersonen des Films bei Arbeits- und Wohnungssuche, Behördengängen sowie Arztbesuchen.
Ein Jahr danach wollen wir gemeinsam mit Frau Rühlig einen Blick auf diesen Integrationsprozess werfen und die Roma aus Frankfurt dabei natürlich auch selbst zu Wort kommen lassen.

Filmvorführung „Roma in Frankfurt“
Dienstag, 15. September 2015, 20:00 Uhr
Saal des Alten Amtsgerichts Zwingenberg, Obertor 1
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 19. September 2015

Rassismus aus dem Bauch heraus
Arbeitskreis Synagoge: Ein Film beleuchtet das Leben der Roma in Frankfurt / Produzentin will sensibilisieren

Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. "Schließ die Türen zu, die Zigeuner kommen!" Über Sinti und Roma wird nicht viel gesprochen - und wenn, dann meistens schlecht. Mit ihnen fast nie. Ein Film will sensibilisieren und aufklären, in dem er die Menschen selbst zu Wort kommen lässt: Kinder von KZ-Opfern, Obdachlose und Jugendliche, die aus Angst vor Ausgrenzung ihre Herkunft verleugnen.
Cornelia Rühling spricht von einem "Rassismus aus dem Bauch", der tief in der Gesellschaft verwurzelt ist. "Meistens weiß man, dass Vorurteile nicht stimmen, weil man auch die andere Seite kennt. Bei Sinti und Roma kennt man nur die Vorurteile", so die Vorsitzende der Margit-Horváth-Stiftung in Mörfelden, wo sie als Museumsleiterin arbeitet. Mit Ulrike Holler und Otto Schweitzer hat sie den Film "Roma in Frankfurt" produziert, der im Sommer 2014 erstmals gezeigt wurde. Der Arbeitskreis Synagoge präsentierte die Dokumentation jetzt im Alten Amtsgericht. Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau begrüßte neben Rühlig auch Elena Gunici, die vor einigen Jahren mit ihren Kindern nach Frankfurt gekommen war.

Stereotypen auflösen
Im Film erzählt sie - damals noch obdachlos - vom Betteln am Hauptbahnhof und auf der Zeil. Und von den Sorgen um das Wohl der Kinder. Heute hat sie eine kleine Wohnung und eine Festanstellung als Hauswirtschaftskraft in einer Kita. Ihr Mann lernt Lesen und Schreiben. Mit ihren Einkünften versorgt sie die ganze Familie - auch die Schwiegermutter und die drei Kinder in Rumänien. Nicht jede Roma lebe ihre Identität so offen aus, sagt Cornelia Rühlig, die Elena Gunici seit dem Filmprojekt auch persönlich begleitet. "Und nicht jeder kann über Ressentiments so hinweglächeln wie sie." In Zwingenberg forderte sie dazu auf, sich den eigenen Vorurteilen offen zu stellen und Ängste zu hinterfragen. Nur durch eine reflektierte Auseinandersetzung könnten soziale und kulturelle Stereotype aufgelöst werden.

Diskriminierung ist Alltag
Im Film beschreiben Roma in Frankfurt ganz unterschiedliche Aspekte des eigenen Alltagslebens. Da ist Maria Strauß, die Tochter von KZ-Überlebenden. Ihr Enkel Jano, der die Roma-Kultur vor dem Aussterben sieht. Und sein Freund Janosch Kelz, der den Kumpels im Fußballverein seine Herkunft verschweigt, weil er Diskriminierungen befürchtet. Die Vorurteile sind für ihn Alltag: "Wenn ich mit meiner Familie im Kaufhaus bin, kommen gleich die Detektive hinter uns her."

Bergündete Ängste
Dass diese Angst begründet ist, weiß Sonja Böttcher nur zu gut. Die 44-jährige Frankfurterin ist Romni. Weil sie Romanes spricht, arbeitet sie bei der Diakonie als Streetworkerin im Bahnhofsviertel. Dort hat sie auch Elena Gunici betreut. Davor war sie in einem Betrieb angestellt. Alles lief bestens, beruflich und privat. "Wir hatten einen offenen Umgang, nichts war verschlossen, alles lag herum." Die Kollegen schätzten sie - bis zu dem Tag, als ihre Familie ins Geschäft kam und mit ihr in ihrer Muttersprache redete. "Am nächsten Tag waren alle Spinde verriegelt und alle haben ihre Geldbeutel versteckt", berichtet sie im Film.
Joachim Brenner leitet den Förderverein Roma e.V. in Frankfurt. Er spricht von einem Teufelskreis: Wenn eine anspruchsberechtigte Familie von der Notunterkunft wieder auf die Straße muss, verweise das Jugend- und Sozialamt auf das Wohl des Kindes, das nicht gewährleistet sei. Wer dann nicht die Rückreise nach Rumänien oder Bulgarien antritt, riskiere, dass man ihm die Kinder wegnimmt.
Deshalb versorgt Elena Gunici ihren Nachwuchs von der Ferne aus. Roma wie sie sind dankbar für jede Hilfe. Wie die von dem Arzt Dr. Andreas Illes, der jede Woche ehrenamtlich eine Sprechstunde für nicht-versicherte Patienten anbietet.
Oder für die Unterstützung durch den Förderverein Roma, der mit seinem staatliche anerkannten Bildungsprojekt "Schaworalle" Roma-Kindern zum Schulabschluss verhilft.

Die Vorurteile sitzen tief in den Köpfen
"Wir brauchen Kontinuität", betont Cornelia Rühlig. Ohne eine längere Begleitung dieser Menschen sei es enorm schwierig, die Situation zu verbessern - auch in den Köpfen der Deutschen, wo die Vorurteile tief sitzen. Aktuelle soziologische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass 56 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, Sinti und Roma würden zu Kriminalität neigen. Jeder zweite will sie nicht als Nachbar haben. Vier von fünf Roma haben bereits offene Diskriminierung erlebt.

Ausschlaggebend für den Film waren Abschiebungen in Frankreich. Massenhaft hatte das Land 2010 Sinti und Roma des Landes verwiesen, ohne dass es in der Öffentlichkeit einen großen Aufschrei gegeben habe, so Rühlig. 60 Minuten lang verzichtet die Doku auf das Breittreten gesellschaftlicher Diskurse, auf die üblichen politischen Stellungnahmen. Begriffe wie "Armutszuwanderung" und "Sozialmissbrauch" kommen nicht vor. Klischees werden weder ausführlich diskutiert noch kleingeredet. Sie offenbaren sich allein in den Worten der Protagonisten. Die Kamera richtet sich nur auf die Menschen, ihre Gesichter, ihre Geschichte und ihre Geschichten. In der fokussierten Tiefenschärfe liegt die große Stärke dieses Films. tr

© Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 19.09.2015
zurück