Gedenkgottesdienst für die NS-Opfer

Am 27. Januar 2008 – dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz – lud die evangelische Kirchengemeinde Zwingenberg zu einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Nationalsozialismus in das Zwingenberger Gemeindehaus ein. Pfarrerin Steffi Beckmann und Dr. Fritz Kilthau, 1. Vorsitzender des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ hatten den sehr gut besuchten Gottesdienst vorbereitet.

In einem Bildvortrag informierte Kilthau zunächst über den KZ-Komplex Auschwitz: Nachdem 1940 das Stammlager „Auschwitz I“ errichtet worden war – bekannt wurde es durch die zynische Torinschrift „Arbeit macht frei“ - , folgte 1941 das eigentliche Vernichtungslager „Auschwitz-Birkenau“. Aus ganz Europa wurden die Gefangenen in Viehwaggons in dieses Lager verschleppt. Auf der Eisenbahnrampe, wo die Menschen ankamen, entschieden die SS-Bewacher über Leben oder Tod: Alte, Kranke und Kinder wurden „selektiert“ und sofort in die Gaskammern geschickt – man spricht von insgesamt 900.000 Menschen. Die Arbeitsfähigen mussten unter unmenschlichen Bedingungen – äußerst schlechte Ernährung, Verschläge zum Schlafen, ständige Todesangst – um ihr Leben bangen. Für den Aufbau und Betrieb der IG-Farben-Fabrik „Buna“ wurde 1942 das KZ-Lager „Auschwitz-Monowitz“ errichtet. Viele weitere kleinere KZ-Außenlager – man spricht von mindestens 39 – wurden rings um Auschwitz aufgebaut. Von den insgesamt mehr als 1,3 Mio. Gefangenen kamen etwa 1,1 Mio. Menschen um, davon 1 Mio. Juden. Die übrigen Opfer waren Polen, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, politische Häftlinge, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und andere.
Am 27. Januar 1945 konnten 7500 Personen, die von den SS-Bewachern zurückgelassen worden waren – 200.000 Menschen waren auf sog. Todesmärschen von Auschwitz aus gen Westen getrieben worden -, durch die Sowjetarmee befreit werden. Das Grauen verdeutlicht sich in Bildern von ausgemergelten Gefangenen, Leichenbergen, 45.000 Schuhen, Tausenden von Brillen, Tonnen von Haaren.
Dr. Kilthau verdeutlichte an Hand der Lebensgeschichte von Moritz Schack, dem letzten Juden aus der Zwingenberger Obergasse, dass die Geschichte Auschwitz’ auch die Geschichte von Zwingenberg ist. Am 23. Januar 1944 wurde Moritz Schack nach Auschwitz deportiert – sein Name findet sich auf der Transportliste, das letzte Lebenszeichen von ihm.
Zum Schluss benannte Dr. Kilthau alle Zwingenberger Opfer des Nationalsozialismus – etliche von ihnen waren in Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern im Osten umgekommen.

Pfarrerin Steffi Beckmann fragte in ihrer Ansprache: “Ich selbst bin 22 Jahre nach der Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau geboren – was hat das also mit mir zu tun?“ Sie berichtete vom Besuch des KZ Dachau in der 9. Klasse: „Schon zu Schulzeiten war es mir präsent und wichtig, dass die systematische Ermordung der Juden im Dritten Reich nicht ein Thema ist, dem ich mich als Deutsche entziehen kann und will… Im Studium, das ich mit dem Hebräischunterricht begann, begegnete ich zum ersten Mal den Traditionen, den Texten des Judentums im Original. Die christlich-jüdische Verständigung, der Kontakt mit dem Arbeitskreis „Kirche und Israel“, der Besuch von Synagogen und des jüdischen Lehrhauses auf den Kirchentagen, insbesondere aber Begegnungen mit Juden in den USA haben mir Perspektiven eröffnet und Mut gemacht, diese Fragen als Theologin und Person anzugehen.
Denn zwei Fragen beschäftigten mich auf dem Weg durch das Studium und dann in der Praxis immer wieder: Wie vermittle ich im Unterricht, wie verkündige ich Jesus Christus, immer im Hinterkopf habend, dass Jesus Jude war, dass die jüdische Religion seine Heimat ist, dass wir mit den Juden heilige Texte teilen, dass wir mit Worten der Psalmen gemeinsam beten. Dass wir Geschwister im Glauben sind. Aus einer Wurzel gewachsen….Und zum zweiten: Wie kann ich das Gedenken bewahren, die Namen benennen, insbesondere der jungen Generation vermitteln, dies ist nicht ein Thema eurer Urgroßeltern, das euch nichts mehr angeht, sondern dies hat heute mit euch ganz konkret zu tun, keine verstaubte in Bibliotheken abzulegende Geschichte. Die Bilder, die wir eben sahen, sprechen für sich und machen jedem unter uns klar, dass dieser Gedenktag oder wie er offiziell heißt „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ genau und gerade hierher gehört. Hier in eine christliche Gemeinde, hier in unsere Schulen, in das öffentliche Gespräch.
Und passend auch am Tag der Landtagswahlen. In der Alsbacher Melibokus-Schule, in der ich unterrichte, hat es die Schüler sehr bewegt, dass die NPD kommen wollte für den Wahlkampf auf Stimmenfang. Die Gegendemonstration vergangenen Mittwoch in Alsbach, Bickenbach und Seeheim hat verhindert, dass die NPD ihren Stand überhaupt aufbaute. Die Schüler waren stolz und das Bewusstsein ist geschärft, wieweit dies nicht nur ein historisches Thema ist, sondern sehr wohl ein Tagesthema. Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge hat vor zwei Jahren eine Erklärung herausgebracht, die dies zusammenbindet. Wir haben diese Erklärung mit unseren Konfirmanden und im Kirchenvorstand besprochen.“
Nach dem Verlesen der „Zwingenberger Erklärung gegen rechtsextreme Aktionen“ fuhr Pfarrerin Beckmann fort: “Es geht um eine Hoffnung, ein „Nie wieder!“ und die Wachsamkeit dazu. Namen nennen, das haben wir heute getan. Ein Denkmal setzen, das Gedenken einhalten. Gedenken bedeutet Geschehenes namhaft zu machen, ins Gedächtnis zu rufen… Die Namen der Zwingenberger Juden haben wir benannt, am Rathaus sind sie zu lesen. Jedem und jeder von uns ist bekannt, dass damit die Gruppe der Opfer des Nationalsozialismus nicht endet. Die Erinnerung muss bestehen bleiben, ohne sie gibt es keine Zukunft.“
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