Geschichte der Klezmer-Musik

Geschichte der Klezmer-Musik

Uli Holzhausen, Mitbegründer des Mainzer „Open Ohr Festival“ und Musiker in verschiedenen Klezmer-Bands, ist ein Kenner der jüdischen Klezmer-Kultur. Auf ihren historischen und musikalischen Hintergrund wird er am 14. September 2010, 19:30 Uhr auf Einladung des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“ im Saal der katholischen Pfarrgemeinde eingehen; verdeutlichen wird er dies mit vielen historischen Bildern, Tonaufnahmen unter anderem aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts und mit diversen Filmausschnitten aus Klezmer-Konzerten.
Die Klezmer-Musik ist zunächst die Instrumentalmusik der osteuropäischen Juden. Sie hat sich etwa seit dem 15. Jahrhundert entwickelt und enthält viele Elemente aus der Volksmusik Osteuropas. Ursprünglich wurde Klezmer-Musik von den fahrenden jüdischen Musikanten („Klezmorim“) - teilweise zusammen mit Roma-Musikern - gespielt, die von Dorf zu Dorf zogen. Sie erklang vor allem auf Hochzeiten, Ernte- und Hoffesten außerhalb der Synagogen. Als die Juden Osteuropa verließen, verbreitete sich die Klezmer-Kultur weltweit, besonders in den USA. Berühmte jüdische Komponisten der USA – beispielsweise Leonard Bernstein, George Gershwin - ließen sich von der Klezmer-Musik inspirieren und nahmen einige der Elemente in ihre Kompositionen auf. Auch Dmitri Schostakowitsch bewunderte die Klezmer-Musik. Mitte/Ende des letzten Jahrhunders kam es zu einem Wiederaufleben dieser Musikrichtung in Europa und den USA. Seit einiger Zeit hat sich diese Musik stark weiterentwickelt, zum Teil aber auch - wie Uli Holzhausen findet - in eine problematische Richtung.

i Vortrag in Wort, Ton und Film „Geschichte der Klezmer-Musik“
Referent: Uli Holzhausen, Bad Kreuznach
Dienstag, 14. September 2010, 19:30 Uhr
Saal der katholischen Pfarrgemeinde Zwingenberg, Heidelberger Straße 18
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 16. September 2010

Die Renaissance des Klezmer dauert an
AK Synagoge: Differenzierter und plastischer Vortrag von Uli Holzhausen über die Geschichte der jüdischen Volksmusik Osteuropas

Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Zwingenberg. Plastisch, rhythmisch durchdacht und hochgradig informativ: Drei Eigenschaften, die bei Vorträgen meistens völlig zu kurz kommen. Geschweige denn, sich stimmig kombinieren. Uli Holzhausen hat es geschafft, die Geschichte des Klezmer in eine lebendig erzählte Biografie zu verpacken, die das Publikum über 90 Minuten lang gehaltvoll unterhalten hat.
Am Dienstag war der Musiker zu Gast beim Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge, um über die Ursprünge und Erscheinungsformen der jüdischen Volksmusik Osteuropas zu sprechen. Im Saal der Katholischen Pfarrgemeinde begrüßte AK-Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau zahlreiche Gäste, die einen kurzweiligen Abriss über die musikalischen Strukturen und wichtigsten Protagonisten dieser facettenreichen Musik hörten, die allein in Deutschland heute von über 70 professionellen Gruppen gespielt wird - sonstige Bands nicht mitgezählt.
"Deutschland ist das Klezmer-Zentrum in Europa", so Holzhausen, selbst Klarinettist in verschiedenen Klezmer-Ensembles (etwa "Dreydele") und profunder Kenner der Szene. Ein markantes Detail in der Entwicklungsgeschichte dieser nichtliturgischen Instrumentalmusik ist die Tatsache, dass sie trotz ihrer jüdischen Herkunft und traditionellen Ausprägung in Israel niemals reüssieren konnte. Holzhausen erklärt dies mit der angestrebten kulturellen Eigenständigkeit des 1948 gegründeten Staates, der sich von den ost- und mitteleuropäischen Wurzeln loslösen wollte.
Die Ursprünge des Klezmer reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück, als der Name fahrende Spielleute von einem eher niederen gesellschaftlichen Rang bezeichnete. Die Musik selbst entwickelte sich im Kontext der jeweils umgebenden Musikkultur und spiegelte immer verschiedene regionalspezifische Einflüsse, etwa aus arabischen oder türkischen Traditionen oder der Roma-Musik. Die Klezmorim (Klezmer-Musiker) spielten auf Hochzeiten und anderen nicht-religiösen Feierlichkeiten, meist in der klassischen Besetzung aus Violine, Hackbrett und Saiteninstrumenten. Erst später dominierte die Klarinette als führende Stimme, gefolgt von weiteren Blasinstrumenten sowie von Bass und einer Perkussionsbegleitung.
Uli Holzhausen demonstrierte die verschiedenen Liedarten des Klezmer anhand von Hörbeispielen, darunter bekannte Tänze wie Doina und Bulgar, Hora oder Freylekhs. Häufig sind die Stücke aus verschiedenen Spielarten kombiniert. Als die Juden Osteuropa verließen, kam es zu einer weltweiten Verbreitung der Klezmer-Kultur. Ein Schmelzpunkt war die amerikanische Ostküste. Insbesondere New York entwickelte sich schnell zu einer wichtigen Bühne, während die Musik in der alten Heimat nahezu verloren ging. Erst mit dem großen Revival in den 1970er Jahren erstarkte der Klezmer und wuchs das Interesse an wegweisenden Musikern wie Naftale Brandwein und Dave Tarras. Die junge Generation entdeckte die alte Musik für sich. Musiker wie Giora Feidman und Gruppen wie The Klezmorim orientierten sich an der alten Schule. Nachkriegskinder mit russischen Wurzeln wie Zev Feldman und Andy Statman hatten plötzlich den Status von Vorbildern, da sie noch von der alten Garde abstammten.
"Die einst ritualbezogene Musik hatte ihren ursprünglichen Sinn verloren", kommentiert Uli Holzhausen, doch die Popularität des Klezmer ist in den letzten 20 Jahren geradezu explodiert.
Neben der klassischen Musik haben auch die Vertreter des Jazz und des Avantgarde-Jazz die jiddische Tradition wiederentdeckt und in ihre Musik eingebaut. Dies hat dazu geführt, dass heute etliche Stilrichtungen unter dem Etikett Klezmer vereint sind. Doch nicht jede Band entspricht dieser kulturell so einflussreichen Kunstrichtung. Die anderen heißen beispielsweise The Klezmatics, Kroke oder John Zorns Massada, wenngleich sie alle keineswegs in der puren Tradition der Urväter stehen.
Im Gegenteil: Für sie ist Klezmer vielmehr eine musikalische Grundhaltung, ein kulturelles Selbstverständnis mit einem offenen Ohr für die vielfältigsten Einflüsse. Insofern dauert die Renaissance des Klezmer weiter an.
Garniert wurde Holzhausens Vortrag von etlichen historischen Bildern sowie einigen Ausschnitten aus dem sehr empfehlenswerten Dokumentarfilm "A Tickle In The Heart" von 1996, der die Lebensgeschichte der Epstein Brothers nacherzählt.

Bergsträßer Anzeiger
16. September 2010
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