Unerhaltung im NS-Rundfunk

Ein Volk, ein Reich, ein Rundfunk
Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge lädt am 10. September zum Vortrag „Unterhaltung im NS-Rundfunk“ ein

Mit der sogenannten „Gleichschaltung“ veränderten die Nationalsozialisten sofort nach der Machtübertragung 1933 alle gesellschaftlichen Organisationen in ihrem Sinne. Dies betraf natürlich auch alle kulturellen Einrichtungen: Bereits am 13. März 1933 wurde das „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ unter Leitung von Joseph Goebbels gegründet. Presse, Rundfunk und Film wurden zu Medien der Nationalsozialisten: Für den Rundfunk führte Goebbels im März 1933 vor Rundfunkintendanten aus, dass es das Ziel sei, „dass die ganzen Funkhäuser hundertprozentig der nationalen Regierung dienen“.

Am 22. September 1933 wurde mit der „Reichskulturkammer“ eine Institution zur Gleichschaltung aller Bereiche des Kulturlebens und der Kontrolle aller Kulturschaffenden eingerichtet. Es gab sieben Untergliederungen für die Kultursparten Rundfunk, Film, Schrifttum, Musik, Theater, Presse und bildende Künste. Alle in diesen Bereichen Beschäftigte vom Intendanten bis zum Kino-Platzanweiser mussten der jeweiligen Kulturkammer angehören. Wer keinen Arier-Nachweis erbringen konnte oder Mitglied von SPD oder KPD war, wurde nicht aufgenommen, was Berufsverbot bedeutete.

Alle regionalen Rundfunkanstalten wurden als selbstständige Körperschaften im Sinne von „ein Volk, ein Reich, ein Rundfunk“ aufgelöst und zentralisiert. Das Rundfunkprogramm wurde nun im Propagandaministerium zusammengestellt. Goebbels: “Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt“. Ein eigens entwickeltes billiges Radiogerät, der „Volksempfänger“, trug erheblich zur steigenden Hörerzahl bei (1933: 4,3 Millionen Rundfunkgeräte, 1939: 10,8 und 1943: 16,2 Millionen). Anfangs waren die politischen Sendeanteile für die Nationalsozialisten sehr wichtig; da aber die Bevölkerung einer andauernden politisch-propagandistischen Beschallung schnell überdrüssig wurde, sah sich Goebbels gezwungen, das Programm durch verstärkte Unterhaltung attraktiver und abwechslungsreicher zu gestalten. Der aus Worms stammende Kulturkammerreferent Hans Hinkel war für dieses unterhaltende und künstlerische Programm verantwortlich.
Während des Krieges legten die Nationalsozialisten den Schwerpunkt des Programms mehr und mehr auf Unterhaltung. Ob in „Bunten Abenden“ oder Wunsch- und Unterhaltungskonzerten wie der legendären Sendereihe „Der frohe Samstagnachmittag“ – unterhaltende Anteile dominierten das Programm des NS-Rundfunks und erreichten während des Zweiten Weltkriegs Spitzenwerte von bis zu 90%. Lediglich in Fällen wie der Niederlage von Stalingrad im Winter 1942/43 wurde das Unterhaltungsprogramm für kurze Zeit durch „ernste“ Musik ersetzt.

Am 10. September 2013, 19:30 Uhr wird Frau Dr. Birgit Bernard, Rundfunkhistorikerin beim WDR Köln, in ihrem Vortrag „Unterhaltung im NS-Rundfunk“ mit Original-Tondokumenten und Bildern die Entwicklung des Rundfunks nach 1933 und die Rolle der Unterhaltung für die Stabilisierung der NS-Herrschaft beleuchten. Veranstaltungsort ist der Saal der katholischen Pfarrgemeinde Zwingenberg, Veranstalter der Verein „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“.
Im Anschluss findet die öffentliche Jahreshauptversammlung des Vereins statt.

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 14. September 2013

Nazis instrumentalisierten Hörfunk für ihre Zwecke
Arbeitskreis Synagoge: Dr. Birgit Bernard, Rundfunkhistorikerin des WDR, referierte bei der Hauptversammlung des Vereins über den Hörfunk in der NS-Zeit

Zwingenberg. Wer an die Rolle des Rundfunks in der Zeit des Nationalsozialismus denkt, dem fallen die flammenden Propaganda-Reden des rassistischen Diktators Adolf Hitler ein. Doch das Medium Hörfunk diente eher als "Ablenkungsmaschinerie", wie Dr. Birgit Bernard, Rundfunkhistorikerin beim WDR, dokumentierte. Sie sprach in dieser Woche auf Einladung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge im Rahmen der öffentlichen Jahreshauptversammlung des Vereins (wir haben berichtet). Vorsitzender Dr. Fritz Kilthau begrüßte die Mitglieder und darüber hinaus die am Thema interessierten Gäste im Katholischen Gemeindezentrum.

Ein Massenmedium
Der Rundfunkt schuf sich in den 20er Jahren einen rasanten Zugang zur Hörerschar. Mit dem Start am 10. Oktober 1924 zählte man 6000 Gebührenzahlen, drei Jahre später waren es 300 000 Haushalte. Der Faktor stieg bis 1933 auf 800 000 Personen. Radio wurde zum Massenmedium, das der Weltwirtschaftskrise offenbar widerstand. Dr. Bernard zufolge wurde der Rundfunk zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig, der sogar höher wie die Braunkohleproduktion rangierte. Man bot ein Programm aus Bildung, Kultur und Unterhaltung. Wobei Letzteres durchaus den Löwenanteil ausmachte.
Um 1939 verfügte bereits die Hälfte der Haushalte in Deutschland über ein Radio. Bis 1933 war die politische Neutralität Bedingung. Nur die ranghöchsten Politiker durften zu Wort kommen. Bei einem staatlichen Aufsichtsgremium waren vorab die Manuskripte einzureichen.
Der Rundfunk entwickelte eine föderale Struktur mit Sendehäusern von der Ostmark über Berlin, Hamburg, Köln bis Stuttgart. Es gab bis 1927 allein aufgrund der fehlenden Technik keine Großsender.
Welche Rolle das Radio zur Verbreitung von Nachrichten innehatte, begriffen die Nationalsozialisten schnell. Der NS-Popagandaminister Joseph Goebbels übernahm die Kontrolle und bündelte alle Rundfunkanstalten, die nur noch als eine Filiale fungierten. Das betraf die gesendeten Inhalte ebenso wie die Belegschaft. Das Medium diente nur anfangs als Kanal, um mit politischen Botschaften zu indoktrinieren. Man servierte dem Volk einen hohen Anteil an Unterhaltungsmusik. Im Zweiten Weltkrieg stieg er gar auf 90 Prozent des Programms. Ziel war es, die Bürger bei guter Laune zu halten.

Nervige Propagandareden
Zwar füllte man in einer ersten Phase nach der Machtergreifung das Programm mit endlosen politischen Propagandareden. Jeder Hinterbänkler habe Sendezeit beantragt, was zu einer täglichen Programmänderung geführt hätte. Die Hörer begannen sich aber offensichtlich zu langweilen. Dr. Bernard verlas die Post einer Hörerin, die mit Kritik nicht sparte. "Es geht mir auf die Nerven." Schon 1933 drängte Goebbels den politischen Anteil massiv zurück und füllte die Sendezeit vor allem mit genehmer Kultur, um eine wertkonservative Bevölkerungsschicht zu beschwichtigen.
1935 verschlechterte sich die Stimmung im Lande. Seit der Weltwirtschaftskrise waren die Löhne bei steigenden Lebenshaltungskosten eingefroren, Devisen wurden für die militärische Aufrüstung verbraucht, und Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung spiegelten sich in langen Schlangen vor den Verkaufsläden. Der Kabarettist und Komiker Werner Finck formulierte nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager 1935 die Situation diplomatisch: "Die Stimmung ist nicht schlecht. Die Leute stellen sich nur an." Die Nationalisten instrumentalisierten die Unterhaltung: Es wurden neue Formate entwickelt: bunte Abende, bunte Nachmittage oder Wunschkonzerte füllten die Sendezeit. "Das Radio fuhr im Kielwasser von Goebbels", so die Referentin. "Der schaffende Mensch will lachen" wurde zum Motto. Das Medium positionierte sich damit zwischen Systemkonformität und Systemabstinenz. Die unterhaltenden Genres schrieben sich Spaß, Freude und Kurzweil auf die Fahnen. Zu einem erfolgreichen Format entwickelte sich "Der frohe Samstagnachmittag". Nicht nur die Zuhörerzahl spricht eine deutliche Sprache. Die Sendeorte wurden zu Publikumsmagneten. So sollen Dr. Bernard zufolge in Dortmund etwa 12 000 Besucher die Aufnahmen live miterlebt haben.

Missgeschicke des Alltags
Für viele Familien war der bunte Samstagnachmittag mit den "Drei frohen Gesellen vom Reichsender Köllen" der Start ins Wochenende. Hans Salcher, Carl Wilhelmy und Rudi Rauer, das "Hermännchen" und die "Tante Judela" servierten eine bunte Palette aus spaßiger Komik, Witzen und Liedern, die zu Ohrwürmern wurden. Die Sendungen bezogen ihren Humor aus den kleinen Missgeschicken im Alltag. moni

© Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 14.09.2013
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