Jahreshauptversammlung 2002

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 25. Mai 2002

AK Synagoge verfolgt tatkräftig sein Ziel
Hauptversammlung wählt Dr. Kilthau zum neuen Vorsitzenden / Kurt Knapp jetzt Ehrenmitglied

Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge hat einen neuen Vorsitzenden. Dr. Fritz Kilthau, bisheriger Stellvertreter, tritt in die erste Reihe. Am Mittwoch kam der Arbeitskreis in Alsbach im evangelischen Gemeindehaus zur Jahreshauptversammlung zusammen, um diesen bereits vor einem Jahr ins Auge gefassten Wechsel an der Vereinsspitze vorzunehmen. Hanns Werner, der bisherige Vorsitzende, wurde zum Stellvertreter ernannt. Doch damit nicht genug.

Nach ebenfalls einstimmig beschlossener Satzungsänderung, die jetzt eine Ehrenmitgliedschaft im Verein ermöglicht, verlieh der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge dem Ehrenbürgermeister Kurt Knapp die Ehrenmitgliedschaft des Vereins. Seit der Gründung habe er sich für den Verein stark gemacht und sich für den Erhalt und die Renovierung der Synagoge eingestzt.

Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge: Ein noch junger Verein - er wurde vor drei Jahren aus der Taufe gehoben - verfolgt engagiert und tatkräftig seine Ziele: die politischen Geschehnisse in nationalsozialistischer Zeit wach zu halten, an die Auslöschung der Zwingenberger jüdischen Gemeinde zu erinnern und die Zwingenberger Synagoge als Gedenkstätte zu erhalten, nicht zuletzt um politisches und gesellschaftliches Handeln vor diesem geschichtlichen Hintergrund zu reflektieren.

Ein Rückblick auf das letzte Jahr der Vereinsarbeit zeigt das Engagement deutlich auf. "Wir können stolz auf unsere Leistungen sein. Mit unseren Veranstaltungen haben wir auch in den zurückliegenden zwölf Monaten das kulturelle Leben in Zwingenberg bereichert", resümierte Hanns Werner den Rückblick. Er erinnerte an den "Kinderlesetag" oder an den Beitrag, den Zwingenberg zu den "Jüdischen Festen an der Bergstrasse" mit der Vorstellung des "Laubhüttenfestes" leistete. Hinzu kam der von Dr. Fritz Kilthau organisierte Stadtrundgang, der die Geschichte der Zwingenberger Nazi-Opfer vor Ort erhellte. Diese Veranstaltungen, die im Rahmen des Kultursommers Hessen Anerkennung fanden, zählten große Besucherzahlen.

Besonderes Augenmerk richtete Hanns Werner auf den Besuch der zwei ehemaligen jüdischen Familien aus Zwingenberg: Prof. Claude Abraham, Enkelsohn der jüdischen Familie Heinrich Wachenheimer aus dem Pfarrhausgässchen, und Ricardo Schack.

Hanns Werner verwies auf eine gute Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden Zwingenberg und Alsbach und die Hilfe aus dem Rathaus, auf die man zu jeder Zeit bauen konnte. Vor allem auch als es um die Frage ging, die ehemalige Synagoge als Gedenkstätte zu erhalten. Das ursprüngliche Ziel des Vereins, den Erwerb und Erhalt der Synagoge als Erinnerung an die Auslöschung der jüdischen Gemeinde, bedarf noch eines langen Atems, so Dr. Fritz Kilthau. Es hat vielerlei Gespräche gegeben, im Rathaus, in der Kreisbehörde, mit Mitgliedern der Landesregierung und auch auf Bundesebene ist man vorstellig geworden. Das Gebäude befindet sich in Privatbesitz. Seitens der Denkmalpflege liegt der Stadt eine Zusage vor, die Restaurierung des Gebäudes finanziell zu unterstützen. Benötigt wird allerdings ein qualifiziertes Nuntzungskonzept, das der Arbeitskreis in Zusammenarbeit mit dem Kreis Bergstrasse erarbeiten wird.

"Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir noch am Anfang eines langen und steinigen Weges stehen." moni

Vor-Ort-Forschung dient der Aufarbeitung
Die Antwort auf die Frage "Brauchen wir historische Erinnerungen?" ist eindeutig: Ja!

"Brauchen wir noch historische Erinnerungen?" Eine wohl eher rhetorische Frage, die Renate Knigge-Tesche von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung aufwarf. Erstaunt ist sie allerdings darüber, dass selbst aus den Reihen hochkarätiger Politiker die Rückschau in die nationalsozialistische Zeit mit der Bemerkung "Das lähmt uns" verhindert wird. Am Mittwochabend bei der Mitgliederversammlung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge stellte sie in Frage, dass bei einer derartigen historischen Ignoranz verantwortungsbewusstes politisches Handeln überhaupt möglich sei. Für sie ist die Auseinandersetzung und Aufarbeitung der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte eine Chance, aus ihr zu lernen und in historisch verantwortliches Handeln umzusetzen.

Zahlreiche Orte des Erinnerns fand Renate Knigge-Tesche vom Referat "Gedenkstättenarbeit - NS-Opfer" der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung bei ihren Recherchen in Hessen. Große Vernichtungslager wie in Dachau und Auschwitz gab es in Hessen nicht. Doch eine Reihe Konzentrationslager, in die die politischen Gegner eingewiesen wurden, Kriegsgefangenenzwangslager, Lager für Zwangsarbeitskräfte, die vor allem die Rüstungsindustrie nutzte, Orte der Euthanasie, Sammellager, Zwangslager für Sinti und Roma: "Auch wenn es in Hessen kein großes KZ gab, so gibt es keinen Landkreis, in dem nicht ein Lager existierte."

Die Synagogen spielen in diesem Zusammenhang als Erinnerungsstätte eine Sonderrolle, auf die man in den letzten zwanzig Jahren sein Augenmerk richtete und verstärkt restaurierte. Bis Ende der 70er Jahre konzentrierte man das Gedenken auf die Orte der großen Lager. Gleiches geschah im Geschichtsunterricht, der eher auf die Methode der Schocktherapie zurückgriff, aber nicht deutlich machte, wie konkret die Diffamierung jüdischer Mitbürger vor der eigenen Haustür passierte.

Renate Knigge-Tesche hob die Bedeutung der Vor-Ort-Forschung hervor, die aufdeckte, wie auch schon vor 1933 Diffamierungen und Drangsalierungen der jüdischen Gemeinden geschahen. Die Initiativen gaben sich nicht mehr damit zufrieden, man habe nichts von all dem Grauen gewusst. Sie befragten Zeitzeugen, durchforsteten Archive und recherchierten in Publikationen. Mit beachtlichem Ergebnis: In vielen Städten ist das Leben der jüdischen Gemeinden recherchiert, man kennt die Namen der ehemaligen jüdischen Nachbarn und kennt die Täter, die nicht selten die unbescholteten Normalbürger waren. Und letztlich weiß man um die vielen Zuschauer, aber auch um die wenigen Widerständler. Gerade die wissenschaftliche Aufarbeitung des Widerstands wurde lange Zeit vernachlässigt.

In Zwingenberg war es vor allem Dr. Fritz Kilthau, der das Leben der jüdischen Gemeinde erforschte und die Ergebnisse in seinem Buch "Mitten unter uns - Zwingenberg in den Jahren 1933 - 1945" dokumentierte. moni

zurück