"Kaum bekannt - das KZ-Außenlager Bensheim"

Kaum bekannt – das KZ-Außenlager Bensheim-Hochstädten
Vortrag bei der Jahreshauptversammlung des Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge

„Da drinnen war es ziemlich kühl und sehr nass“ – so Dr. Fritz Kilthau, der Vorsitzende des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“, nachdem er vorletzte Woche wieder aus den unterirdischen Gängen des ehemaligen Marmorbergwerks in Hochstädten ans Tageslicht kam. Er wollte herausfinden, wo die Häftlinge des früheren KZ-Außenlagers schuften mussten, und er hatte Fotos von den engen Stollen im Bergwerk gemacht. Diese Bilder werden am Dienstag, 16. Mai 2006, 19:30 Uhr zu sehen sein im Vortrag von Wolfgang Stapp, Höchst im Odenwald, über dieses Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass. Stapp ist Autor des Buches „Verschleppt für Deutschlands Endsieg – Ausländische Zwangsarbeiter im Breubergerland 1939-1945“; er hat sich kürzlich sehr intensiv für eine Veröffentlichung mit dem Lager in Hochstädten befasst.

Das Außenlager bestand von August/September 1944 bis Ende März 1945. Die Gefangenen – Franzosen, Tschechen und Deutsche – wurden in dem unterirdisch angelegten Rüstungsbetrieb des Dr. Hans Heymann aus Darmstadt eingesetzt. Diese Firma soll Kreisel- und Kreiselkontrollsysteme, die man u.a. zur präzisen Steuerung und Stabilisierung der V2-Rakete benötigte, produziert haben, weiterhin Geradlaufapparate für Torpedos, Minenräumgeräte und vieles mehr.
Griechische Zwangsarbeiter mussten die unterirdische Fabrikationsstätte zuvor aufbauen – einige von ihnen liegen zusammen mit gestorbenen KZ-Insassen außerhalb des Auerbacher Friedhofs begraben.

Viele Dokumente, die im Vortrag gezeigt werden, verdeutlichen die Arbeits- und Lebensbedingungen im KZ-Außenlagers, sie berichten auch von der Ermordung griechischer Zwangsarbeiter und der brutalen Deportation der KZ-Insassen ins KZ Dachau und ihre Befreiung durch die Amerikaner bei Bad Tölz.

Im Anschluss an den Vortrag findet die öffentliche Jahreshauptversammlung des Arbeitskreises statt, u.a wird über die vergangenen und geplanten Veranstaltungen des Vereins in einer Bild-Präsentation berichtet.

i Vortrag „Kaum bekannt – das KZ Außenlager Bensheim-Hochstädten“ und Jahreshauptversammlung des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.“
Dienstag, 16. Mai 2006, 19:30
Evangelisches Gemeindehaus Alsbach, Bickenbacher Str. 27

Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 20. Mai 2006

Griechische Zwangsarbeiter mussten in Auerbach leiden
ARBEITSKREIS SYNAGOGE: Vortrag von Buchautor Wolfgang Stapp

Zwingenberg/Alsbach. Einige Auerbacher erinnern sich noch, wie griechische Zwangsarbeiter vor Ende des Zweiten Weltkriegs unter Aufsicht von Wachtposten Richtung Hochstädten zum Marmoritwerk getrieben wurden. Hier gab es von August 1944 bis Kriegsende ein Außenlager eines Konzentrationslagers.
Wolfgang Stapp recherchierte die Zusammenhänge und fasste die wesentlichen Ergebnisse im Rahmen eines Vortrags beim Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge zusammen. Der Höchster ist Lehrer in Altersteilzeit. Zugleich ist er Autor des Buches "Verschleppt für Deutschlands Endsieg", in dem er über die Situation der Zwangsarbeiter zur Zeit des Nationalsozialismus berichtet. Eine Veröffentlichung, die laut Stapp für "große Aufregung" sorgte, in wissenschaftlichen Kreisen aber eine "große Verbreitung" erfuhr.
Bei seinen Recherchen zu KZ-Außenlagern stieß er auch auf den Standort Auerbach-Hochstädten. Das Lager im Marmoritwerk war nicht eigenständig, sondern dem großen KZ Natzweiler im Elsass zugeordnet. Die Menschen arbeiteten in einem Stollen. Hauptverantwortlicher für die Errichtung des KZ war ein Ingenieur namens Dr. Hans Heymann, der seine berufliche Laufbahn als Abteilungsleiter bei einem Darmstädter Unternehmen begann. Später gründete er eine eigene Firma, die bis zu 650 Mitarbeiter zählte. Der Erfolg kam nicht von ungefähr: Der Techniker konzentrierte sich auf Produkte für die Rüstungsindustrie, damals ein besonders lukratives Geschäft. Ein Beispiel hierfür ist die so genannte Kreiseltechnik für die Steuerung und Stabilisierung von Flugkörpern. Er investierte in die Forschung und entwickelte neue Verfahren. Die Nationalsozialisten wussten seinen Eifer zu schätzen und bedachten ihn mit finanziellen Zuwendungen.
Heymann verkehrte in höchsten Regierungskreisen. Zum Beispiel mit Oswald Pohl, dem Leiter des SS-Wirtschaftsverwaltungsamtes. Pohl war unter anderem zuständig für den Einsatz von KZ-Häftlingen in der Wirtschaft. "Heymann war nicht nur Profiteur des Einsatzes, sondern auch Antreiber", so der Referent. Er sei der eigentliche Gründer des KZ-Außenlagers in Darmstadt wie auch beim Marmoritwerk gewesen und damit der einzige Privatmann, auf dessen Initiative ein Außenlager zustande gekommen sei.
Der Unternehmer konnte sich seine Häftlinge - Ingenieure, Techniker oder Chemiker - in Buchenwald selbst aussuchen. Darunter waren Deutsche, Russen, Polen und Franzosen. Ihnen ging es noch vergleichsweise gut. Sie wurden gebraucht und waren nicht leicht zu ersetzen. Aus Buchenwald kamen auch Häftlinge für die Produktion nach Auerbach. Die Angaben über die Zahl gehen laut Wolfgang Stapp weit auseinander. Heymann habe von 104 gesprochen, laut Pohl sollen es 300 bis 400 gewesen sein.
Bei der Evakuierung des Lagers waren es noch 75. Die Gruppe, der man die erbärmlichsten Bedingungen zumutete, waren die griechischen Zwangsarbeiter. Sie wurden im August 1944 aus Griechenland verschleppt und ursprünglich beim Flughafenbau in Biblis eingesetzt. Einige von ihnen holte sich Heymann. "Was hier stattfand, war Vernichtung durch Arbeit", so Wolfgang Stapp. Mehr als 10 Prozent der jungen Männer verloren ihr Leben in den sieben Monaten.
Die juristischen Akten der Darmstädter Spruchkammer, die den Prozess der Nazi-Verbrechen einleitete, enthalten Aussagen einiger Bürger aus Hochstädten, die das Lagergeschehen beobachteten, aber auch Aussagen von Heymanns Sohn. Die Angaben gehen in dieselbe Richtung: Die Häftlinge seien menschenunwürdig behandelt worden. Sie trugen Lumpen, selbst bei kalter Witterung. Die Verpflegung war schlecht, die Prügelstrafe keine Ausnahme. Kranke wurden dutzendweise abtransportiert - vermutlich in ein Vernichtungslager.
Die Spruchkammer sprach Heymann in erster Instanz als Haupttäter schuldig. Sein gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt. Der Angeklagte legte Widerspruch ein und erhielt in zweiter Instanz die Hälfte seines Vermögens zurück. "Man hat sich mit den Tätern arrangiert", urteilte Stapp. Obwohl Bürger aus Hochstädten mindestens die brutale Hinrichtung eines Häftlings bezeugen, wurde der Prozess gegen Heymann 1970 eingestellt.
Mit dem Kriegsende wurde das Lager aufgelöst. Die Überlebenden wurden nach Dachau gebracht, danach verliert sich ihre Spur. Allerdings erinnern Grabstätten außerhalb des Auerbacher Friedhofs sowie eine Gedenkplatte am Auerbacher Friedhof für die ermordeten griechischen Zwangarbeiter an das Grauen. Außerdem habe eine Auerbacher Projektgruppe Kontakte zu den Zwangsarbeitern aufbauen können. moni

© Bergsträßer Anzeiger - 20.05.2006


Artikel des Bergsträßer Anzeiger vom 24. Mai 2006

Jüdisches Leben für die Bühne in Szene setzen
ARBEITSKREIS SYNAGOGE: Interessantes Jahresprogramm bei Hauptversammlung vorgestellt


Zwingenberg. Der Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge macht immer wieder mit einem breiten Spektrum an Veranstaltungen auf sich aufmerksam und spricht damit unterschiedliche Interessengruppen an. Das zeigte nicht zuletzt der Jahresbericht, den der Vorsitzende Fritz Kilthau im Rahmen der gut besuchten Hauptversammlung im evangelischen Gemeindezentrum in Alsbach präsentierte.
Er blickte zurück auf den Besuch einer Ausstellung in Frankfurt mit dem Schwerpunkt Deportation der Juden. Hierin wurde auch die Lebensgeschichte eines Zwingenberger jüdischen Ehepaares, Moritz Schack und seiner Frau, dokumentiert. Ein weiteres Highlight war das Konzert unter anderem mit Irith Gabriely in der Bergkirche. Die hervorragende jüdische Klarinettistin zog viel Besucher in ihren Bann. Auch für die jüngere Generation hatte der Verein etwas Besonderes in petto. Im Rahmen der Ferienspiele Kinder das "Handwerk zur Zeit Jesu in Palästina".

"Wir Juden in Zwingenberg"

Der Film "Die Rollbahn", der den Einsatz von Zwangsarbeitern beim Ausbau des Frankfurter Flughafens während der NS-Zeit dokumentiert, fand ebenfalls ein breites Interesse. Ein besonderes Ereignis war die Präsenz des Arbeitskreises in einer Sendung von Radio Melibokus. Der Beitrag reflektierte die Situation der Juden in Zwingenberg während des Faschismus. Unter dem Titel "Wir Juden in Zwingenberg" fand der Beitrag vor allem deswegen große Publikumsresonanz, weil man durch einen literarischen Trick Nähe und Unmittelbarkeit herstellte: Man ließ den jüdischen Zwingenberger Bürger in der Ich-Form erzählen.
An dieser viel beachteten Hörfunk-Inszenierung werden Schüler des Schuldorfs Bergstraße weiterarbeiten und sie fürs Theater in Szene setzen. Darin kommt dann der ehemalige Gemeindevorsteher David Wachenheimer zu Wort und berichtet von der Einweihung der neuen Synagoge in der Wiesenstraße am 11. September 1903 und von der Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Zwingenberg seit dem Mittelalter. Leo Schack, der 1933 aus Zwingenberg flüchten musste, erzählt von seinem Aufenthalt in Frankreich und seiner Emigration nach Mexico. Veröffentlichungen im Bergsträßer Anzeigeblatt und Bergsträßer Bote aus den Jahren 1933 bis 1938 werden zitiert, um das kompromisslose Vorgehen gegen die Zwingenberger Juden aufzuzeigen. Clara Wolf, die mit ihrem Mann Jakob in der Obergasse ein kleines Geschäft für Kurz- und Manufakturwaren hatte, schildert die schrecklichen Vorgänge während der Reichspogromnacht 1938 in Zwingenberg. Moritz Schack, der letzte Jude Zwingenbergs, blickt zurück auf den Verkauf der Synagoge im November 1938 - einen Tag nach der Reichspogromnacht - und seiner Deportation nach Theresienstadt und schließlich nach Auschwitz. Die Aufführung - mit Livemusik umrahmt - findet wahrscheinlich Anfang September 2006 statt.
Kilthau verwies zudem auf ein besonderes Ereignis: Am 7. Mai wurde eine Gedenkstätte am Zwingenberger Rathaus eingeweiht, die den ehemaligen jüdischen Mitbürgern namentlich ein Denkmal setzt. Zehn (Drei, F. Kilthau) Jahre habe es gedauert, so Kilthau, bis die politischen Gremien der Idee zustimmten. Ähnlich vielfältig wie im Berichtsjahr fällt auch das geplante Programm für 2006 aus. Am 6. September, 20 Uhr, wird Dr. Fritz Kilthau, der Autor des Buches (Broschüre, F. Kilthau)"Theodor Loos - Ein berühmter Film- und Theaterschauspieler aus Zwingenberg an der Bergstraße" einen Vortrag über den Zwingenberger Star halten. Er findet im katholischen Pfarrzentrum statt.
Am Dienstag, 19. September, 19.30 Uhr, wird Ruth L. David in der Zwingenberger Stadtbücherei aus ihrem Buch "Ein Kind unserer Zeit" lesen. Ruth David ist in Fränkisch-Crumbach im Odenwald aufgewachsen und konnte noch rechtzeitig im Alter von zehn Jahren nach England emigrieren.

Kino im Gemeindezentrum

Auf die Situation der Juden in Deutschland unter dem NS-Regime soll ein Film aufmerksam machen: Am Mittwoch, 15, November, wird das evangelische Gemeindezentrum zu einem Kino. Dann läuft "Das Lager der vergessenen Kinder" mit anschließender Diskussion mit der Filmautorin Yvonne Menne. Der Film beschreibt die Geschichte von 450 jüdischen Waisenkindern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Lindenfels aus ganz Europa zusammengeführt wurden, bis sie mit dem berühmten Flüchtlingsschiff "Exodus" nach Palästina zu fahren versuchten.
Anfang Dezember steht wieder der Zwingenberger Weihnachtsmarkt auf dem Markplatz auf dem Programm. Auch hier will man wieder dabei sein - auch mit der Aktion "Jedes Los gewinnt!".

Der Verein zählt zurzeit 38 Mitglieder, zwei mehr als im vergangenen Jahr. Hinzu kommen fünf öffentlich rechtliche Mitglieder. Ergänzungswahlen standen zudem auf dem Programm der Jahreshauptversammlung. Einen neuen Schatzmeister fand der Verein in Harry Schramm, der die Aufgabe von Reinhold Dinges übernimmt. moni

© Bergsträßer Anzeiger - 24.05.2006

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