"Swing Kids"

Die „Swing Kids“ im Nationalsozialismus und ihre Musik
Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge lädt zur Informationsveranstaltung mit Vortrag, Bildern und Ton- und Filmausschnitten

Auf Einladung des Vereins „Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge“ werden Birgit Meurer (Martin-Buber-Haus, Heppenheim) und Birgit Geimer (Bildungsreferentin im Haus der Kirche, Heppenheim) am 19. Juni 2012, 19:30 Uhr einen historischen Überblick über die Geschichte der so genannten Swing Kids im Nationalsozialismus mit vielen Film- und Hörbeispielen geben.

In der NS-Zeit gab es etliche Gruppen von Jugendlichen, die in kritischer Distanz zum NS-Regime standen; die größeren Gruppierungen von ihnen waren in linken Parteien organisiert oder kirchlich geprägt. Es gab aber auch einige Gruppen, die sich - zunächst völlig unpolitisch – einfach gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten wehrten: Einheitlich uniformiert mit kurzem Haarschnitt bei der Hitler-Jugend mitzumarschieren, war ihnen ein Gräuel – sie wollten ihren eigenen individuellen Lebens- und Modestil verwirklichen.
Eine dieser Gruppen war die Gruppe der „Swing Kids“, die vornehmlich aus dem Mittelstand und dem gehoben Bürgertum in vielen deutschen Großstädten kam, hauptsächlich in Hamburg, Frankfurt und Berlin. Mitglieder dieser Gruppe – meist zwischen 14 und 21 Jahren alt - zeigten in der Öffentlichkeit ihre Vorliebe für einen Lebensstil, der sich besonders an amerikanischen und englischen Moden orientierte: Die Jungens trugen im Gegensatz zum nationalsozialistischen Einheitsstil oft längere Haare, auffällige lange Jacketts mit großem Karomuster, weitgeschnittene Hosen, Hut und typischerweise einen Regenschirm, der als Gruppenmerkmal auch bei Regen nicht geöffnet wurde. Auch die Mädchen widersprachen in ihrer Erscheinung ganz entschieden dem NS-Frauenbild – oftmals auffällig geschminkt, in langen Hosen, in der Öffentlichkeit rauchend.
Ihre Musik war der Swing, eine damals sehr populäre Stilrichtung des Jazz – ihre bekanntesten Vertreter waren Benny Goodman, Glen Miller, Count Basie, Lionel Hampton, Tommy und Jimmy Dorsey, Duke Ellington mit ihren Orchestern und viele andere. Man hörte diese Musik und tanzte dazu in Cafes und Clubs, gründete selbst Swing-Bands und veranstaltete Swing-Parties.
Natürlich wurden die Nationalsozialisten auf die – wie sie nannten - „Swing-Jugend“ aufmerksam. Dass die „Swing Kids“ den Vorstellungen der Nazis über die deutsche Jugend absolut nicht entsprachen, rief Gestapo und HJ-Streifendienst ab 1940 auf den Plan – Swing war für die NS-Ideologen „jüdische Niggermusik“ und deshalb verboten.
„Da die Tätigkeit dieser Swing-Jugend in der Heimat eine Schädigung der deutschen Volkskraft bedeutet, halte ich die sofortige Unterbringung dieser Menschen in ein Arbeitslager für angebracht“ so in einem Bericht an den Reichsführer SS Heinrich Himmler. Seine Antwort: „Meines Erachtens muss jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden...Alle Rädelsführer... sind in ein Konzentrationslager einzuweisen.“ In der Folgezeit wurden über 300 Mitglieder der „Swing Kids“ verhaftet.
Die Verhaftungswelle hatte zur Folge, dass einige dieser Jugendliche begannen, den Nationalsozialismus auch politisch abzulehnen. Sie fingen an, antifaschistische Flugblätter zu verteilen. Man klagte sie wegen Hochverrats, staatsfeindlicher Propaganda und Wehrkraftzersetzung vor dem Volksgerichtshof an – die Prozesse und die zu erwartenden Todesurteile wurden zum Glück durch den Einmarsch der Alliierten verhindert.

i Vortrag „Die ‚Swing Kids’ im Nationalsozialismus und ihre Musik“
Dienstag, 19. Juni 2012, 19:30 Uhr – Saal des Alten Amtsgerichts Zwingenberg, Obertor 1
Referentinnen: Birgit Meurer (Martin-Buber-Haus, Heppenheim) und Birgit Geimer (Bildungsreferentin im Haus der Kirche, Heppenheim)
Veranstalter: Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V.

Artikel des "Bergsträßer Anzeiger" vom 2. Juli 2012

„Falscher“ Musikgeschmack konnte ins KZ führen

Für die heutige Jugend dürfte es kaum vorstellbar sein, aber in der NS-Zeit konnte ein bestimmter Musikgeschmack im schlimmsten Fall ins Konzentrationslager führen. Daran erinnerten Birgit Meurer vom Martin-Buber-Haus in Heppenheim und Birgit Geimer vom Haus der Kirche in Heppenheim mit ihrem Vortrag im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge.
Im Mittelpunkt stand das Leben der "Swing Kids" im Nationalsozialismus, wobei die Zeitreise an den Beginn des 20. Jahrhunderts auch ein interessanter geschichtlicher Ausflug war. Zum Teil - trotz des ernsten Hintergrundes - auch sehr unterhaltsam, denn der Vortrag war mit einer Reihe von Ton- und Filmausschnitten gespickt.
Erinnert wurde an die Revolution in Russland, das Abdanken des deutschen Kaisers, die zunehmende Industrialisierung, an Arbeitslosigkeit und Armut und das Aufkeimen des Faschismus.
Legendäre Kinofilme wie Fritz Langs "Metropolis" oder Charly Chaplins "Moderne Zeiten", Revuen und Tanzmusik von Willi Berking bestimmen die Unterhaltung in dieser Zeit. Aus Amerika schwappt der Swing, als populäre Spielart des Jazz, über den großen Teich.
Die Musik von Benny Goodman, Glenn Miller oder Ina Ray Hutton findet vor allem bei Jugendlichen großen Gefallen, entspricht sie doch eher ihrem Lebensgefühl als die nationalsozialistische Vereinheitlichung mit kurzem Haarschnitt, Uniform.
Überhaupt bestimmt der Nationalsozialismus mehr und mehr den Alltag in Deutschland. "Der schnelle Beat wird in den Marschrhythmus getrieben", die Jugend wird in das Korsett von Hitlerjugend und Bund deutscher Mädels gezwängt. Die "Swing Kids" wehrten sich gegen diesen Einheitsstil mit längeren Haaren, weitgeschnittenen Hosen, weiten und langen Sakkos mit Karomuster und der Zigarette (oft auch zwei) im Mundwinkel.
Dieser offen zur Schau gestellte Modestil war nicht ungefährlich, denn er forderte die Staatsmacht heraus. 1937 wurde die Musik von Benny Goodman verboten, 1939 das Abhören ausländischer Sender und ab 1941 war Swing unerwünscht.
In einem Bericht an den Reichsführer SS Heinrich Himmler hieß es beispielsweise: "Da die Tätigkeit dieser Swing-Jugend in der Heimat eine Schädigung der deutschen Volkskraft bedeutet, halte ich die sofortige Unterbringung dieser Menschen in ein Arbeitslager für angebracht".
Himmlers Antwort: "Meines Erachtens muss jetzt das ganze Übel radikal ausgerottet werden", fordert er die Einweisung aller Rädelsführer in ein Konzentrationslager. In der Folgezeit werden über 300 Mitglieder der vorwiegend in den größeren Städten lebenden Swing Kids verhaftet. Auch der Jazzmusiker Emil Mangelsdorff gehörte in Frankfurt zu einer verbotenen Swing-Gruppierung.

Hatten sich diese Jugendlichen selbst als eher unpolitisch empfunden, führte das dazu, dass sie zunehmend den Nationalsozialismus auch politisch ablehnten, aktiv im Widerstand agierten und angeklagt wurden.
Der Einmarsch der Alliierten und die Kapitulation im Jahr 1945 verhinderten die Prozesse wegen Hochverrat und die zu erwartenden Todesurteile.
Die Hitlerjugend hatte ausmarschiert - und das Swing-Phänomen erlebt nach dem Zweiten Weltkrieg erneut einen großen Boom. js

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